Die Menschen ziehen ins ferne Umland

Stadtsoziologe Andrej Holm über die Ursachen und Folgen der Mietenexplosion

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

In Berlin muss man für eine Drei-Zimmer-Wohnung im Innenstadtbereich mittlerweile locker 1600 Euro zahlen. Sind wir hier bei Münchner Verhältnissen angekommen?

Die Mietpreise sind in der bayerischen Landeshauptstadt noch deutlich höher. Doch wo Berlin und München vergleichbar sind, ist die sogenannte Mietkostenbelastung. Das ist der Anteil am Einkommen, den die Haushalte für die Miete aufwenden müssen. Dieser liegt in beiden Städten im Mittel bei über 30 Prozent, weil die Mieten in Berlin zwar niedriger sind, die Menschen hier aber auch weniger verdienen. Und in beiden Städten gibt es auch viele Haushalte, die mit über 40 Prozent schon einen sehr hohen Anteil ihres Einkommens für Wohnkosten ausgeben müssen.

Zur Person
Andrej Holm ist Soziologe und war 2016/17 kurzzeitig Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen der rot-rot-grünen Landesregierung von Berlin. Simon Poelchau sprach mit dem renommierten Forscher über steigende Mieten.

Was sind die Folgen der explodierenden Mieten? Ziehen die Menschen jetzt von der Innenstadt aufs Land?

Die meisten zahlen diese hohen Mieten und schränken sich dafür in anderen Lebensbereichen ein. Dies ist etwas, was wir Wissenschaftler als »Verdrängung aus dem Lebensstandard« bezeichnen. Das fängt mit dem Verzicht auf eine Urlaubsreise an, um die Miete zahlen zu können, geht bei Einsparungen bei Büchern, Kultur- und Freizeitangeboten weiter und endet vielleicht mit Einsparungen bei der Bildung für die eigenen Kinder. Dadurch führen die steigenden Mieten zu Einschränkungen in der Lebensqualität.

Was ist, wenn all diese Einsparungen am Ende doch nicht mehr ausreichen?

Dann suchen viele Menschen nicht mehr nur am Stadtrand nach neuen Wohnungen, sondern auch im fernen Umland. In Berlin heißt das, auch bis nach Brandenburg/Havel zu ziehen, wo es noch Leerstände gibt. Dies ist eine Entwicklung, die in fast allen Städten zu beobachten ist, in denen es so aufgeheizte Wohnungsmärkte gibt.

Seit wann ist die Entwicklung so dramatisch?

In Berlin wird die Lage seit 2010 immer angespannter. Zum einen liegt das an der steigenden Bevölkerungszahl. Zum anderen gibt es aber Ursachen, die auch in anderen deutschen Städten dafür verantwortlich sind, dass die Mieten steigen.

Die wären?

Seit der Finanzkrise drängt internationales Kapital auf die deutschen Wohnungsmärkte. Das treibt die Häuser- sowie Grundstückspreise und damit auch die Mieten in die Höhe. Zudem betrieben viele deutsche Städte in den vergangenen Jahren eine neoliberale Wohnungspolitik. So wurden durch Privatisierungen, Kürzungen von Förderprogrammen und eine Liberalisierung der Gesetzgebung die Handlungsspielräume des Staates eingeschränkt, gegen steigende Mieten vorzugehen.

Es liegt also nicht an zu wenigen Neubauten allein?

Zwar fehlen Wohnungen, wenn zu wenig gebaut wird. Doch kann man damit zum Beispiel nicht den Rückgang von bezahlbaren Wohnungen in öffentlichen Beständen erklären. Zudem werden zurzeit meist nur Eigentumswohnungen oder teure Mietwohnungen gebaut. Wo die Wohnungsnot jedoch in allen Städten am größten ist, ist bei Haushalten mit geringen Einkommen.

Hat die Mietpreisbremse da nicht etwas Abhilfe geschaffen?

Die Mietpreisbremse war grundsätzlich eine sinnvolle Idee, da sie die Neuvermietungspreise knapp über dem Niveau der Bestandsmieten kappen sollte. Das hätte vor allem die Lage für Haushalte mit mittlerem Einkommen verbessert. Doch fehlt es der Mietpreisbremse auch wegen mangelnder Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten an Durchsetzungskraft. So hat sie nur bewirkt, dass die Mieten in einigen Innenstadtbereichen nicht mehr ganz so stark gestiegen sind. Eine voll funktionsfähige Mietpreisbremse hätte jedoch bewirkt, dass die Mieten in Berlin etwa von zehn auf sieben Euro pro Quadratmeter gesunken wären. Und zweitens entlässt die Mietpreisbremse nicht den Staat aus der Verantwortung, mehr beim sozialen Wohnungsbau zu machen.

Was wäre da sinnvoll?

Renditeorientierten Unternehmen günstigere Baukosten zu ermöglichen wäre ein falscher Weg. Denn die haben erst mal kein Interesse an bezahlbaren Wohnungen und würden die Förderungen vor allem für Extraprofite nutzen. Stattdessen sollte die Gemeinnützigkeit im Wohnungsbereich wieder eingeführt werden. Diese wurde 1989 abgeschafft und ermöglichte steuerliche Entlastungen etwa für kommunale oder genossenschaftliche und andere Wohnungsbaugesellschaften. Dadurch wurde die Förderung mit einer Selbstverpflichtung zu einer dauerhaften Versorgung mit günstigem Wohnraum und einem Verzicht auf Gewinne verbunden. Auch wäre zum Beispiel eine Neuordnung der Bodensteuer notwendig, um Immobilienspekulationen zu erschweren.

Dafür bräuchte es aber ein radikales Umdenken des Bundes.

In der Tat fachte der Bund in der Vergangenheit die Dynamik noch an. So verkaufte er seine Liegenschaften durch die Bundesimmobilienagentur (BIMA) bisher in der Regel zu Höchstpreisen, was die Immobilienspekulationen weiter anheizte. Dies muss eingestellt werden und stattdessen gewährleistet werden, dass die BIMA gemeinnützige und öffentliche Träger mit günstigen Grundstücken versorgt.

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